In den letzten Jahren waren Venture Capital Fonds sowie von diesen Fonds finanzierte Unternehmen konstant in den Medien präsent. Die Anzahl an Wagniskapitalgebern stieg bis 2022 stetig und die vorhandenen Investoren sind auf der Jagd nach immer größer werdenden Fondvolumina und Finanzierung. Gründer planen teilweise bereits im initialen Business Plan üppige Finanzierungsrunden in absehbarer Zukunft ein, um den medialen Erwartungen von unbändigem Wachstum in kürzester Zeit gerecht zu werden und möglichst schnell in die Ränge der prestigeträchtigen „Unicorns“ oder sogar „Decacorns“ aufzusteigen. Laut Statista hat sich das Volumen der Venture Capital Investitionen in Deutschland in den letzten fünf Jahren vor 2022 verdreifacht. Warum sollten bei solch einem Wachstum Unternehmer entgegen dem Trend heute noch auf Risikokapital verzichten und profitable Unternehmen aufbauen? Im Folgenden werden drei Denkanstöße formuliert und näher erläutert.
Die Unternehmenskultur
Durch Finanzierungsrunden kommt es häufig in Unternehmen zu einem vorher nie dagewesenen Überschuss an liquiden Mitteln. Es wird im Unternehmen plötzlich „normal“ sich viele Dinge leisten zu können, zu wollen, aber auch zu müssen. Durch den Druck zum Wachstum des Unternehmens, um den Erwartungen des Finanzierungsgebers gerecht zu werden, sind breite Investitionen vor allem in den Bereichen Personal, Marketing und Vertrieb notwendig – mit vielen zunächst positiven Effekten für die Mitarbeitenden. Mitarbeitende bekommen plötzlich viele Benefits, Karriereleitern können auf Basis des rapiden Wachstums schnell erklommen werden und zahlreiche spannende Projekte werden mit großen finanziellen Mitteln unterstützt. Die DNA und Kultur des Unternehmens werden vollends auf extern finanziertes Wachstum ausgerichtet. Was passiert jedoch, wenn ein Unternehmen das Wachstum verlangsamt und nun anfangen muss Gewinne zu erwirtschaften, um sein weiteres Wachstum selbst zu finanzieren? Ein nachhaltig profitables Unternehmen benötigt eine andere Kultur als ein auf rapides, fremdfinanziertes Wachstum ausgelegtes und Kulturanpassung sind meist heikel. Erfahrungsgemäß fällt diese notwendige Veränderung der DNA vielen Unternehmen sehr schwer und ist häufig mit Entlassungswellen verbunden, wie aktuell bei einer Vielzahl von Unternehmen zu sehen. Personalseitiger Unmut entsteht, welcher zum Scheitern der Unternehmung führen kann. Ein nachhaltiger Fokus auf profitables Wachstum erlaubt es dem Unternehmen solch radikale Kulturveränderungen zu vermeiden und die vorhandene DNA langfristig und nachhaltig zu etablieren.
Positiver Innovationsdruck
Unternehmen, die auf Basis von externem Kapital ein starkes Wachstum finanzieren, wissen oft während der jahrelangen Wachstumsphase noch nicht, ob das zugrundeliegende Geschäftsmodell langfristig überhaupt Profitabilität zulässt. Auf viele Veränderungen im Markt muss im ersten Schritt nicht reagiert werden, da zunächst nur Umsatz zählt. Es kommt zum Showdown sobald Investoren vom Unternehmen starke Gewinnmargen erwarten. Dementgegen stehen eigenfinanzierte Unternehmen, die die Finanzierung ihres Wachstums vorher erwirtschaften und auf die Profitabilität der Projekte fokussiert sind. Ein möglichst schnelles marktseitiges Feedback zum Product-Market Fit hat sehr hohe Priorität. Jegliche Veränderung in der Marktdynamik muss im Hinblick auf das eigene Geschäftsmodell geprüft werden und Projekte müssen querfinanziert oder schnell profitabel werden. Hierdurch entsteht der positive Druck durch ständige Innovation auf Marktanforderungen kundenzentriert reagieren zu müssen und gegebenenfalls sein Geschäftsmodell dynamisch anzupassen. Wer diese Herausforderung meistert, kann oft langfristig am Markt bestehen.
Krisenresistenz
Durch die immensen Investitionen, die auf die ersten Finanzierungsrunden folgen, sollen Wachstumsdimensionen erreicht werden, die ohne externe Kapitalgeber nicht zu stemmen wären. Infolgedessen sind die Unternehmen gezwungen in hoher Regelmäßigkeit weitere Kapitalrunden durchzuführen, um die Kosten für die immer größer werdende Wachstumsambitionen der nächsten Investoren zu finanzieren. Das Resultat ist eine nicht zu unterschätzende Abhängigkeit von Kapitalgebern. Ein Verkauf inmitten des Venture Capital Kreislaufs ist auch schwierig: Risikokapitalfinanzierte Unternehmen sind für klassische Private Equity-Investoren in der Regel nicht interessant, da sie aufgrund des Finanzprofils keine Fremdfinanzierungen tragen können und die von Venture Capital Unternehmen gezahlten Bewertungen mit konservativeren Wachstumsvorstellungen nicht kompatibel sind. Doch was passiert nun, wenn der Kapitalmarkt Risikoappetit verliert? Das Ergebnis ist zurzeit, getrieben durch die Weltwirtschaftslage, medial präsent. Bewertungen fallen um bis zu 90%, Reduzierung der Mitarbeiterzahl werden zur Auflage für Finanzierungsrunden und andere finden wiederum gar keine finanzierungswilligen Partner mehr. Profitabilität und Gewinne rücken plötzlich in den Fokus der Investoren. Allgemein sind Kapitalgeber deutlich schwieriger von Venture Cases zu überzeugen. Profitable Wachstumsunternehmen sind deutlich unabhängiger von den weltweiten Finanzmärkten und infolgedessen deutlich krisenresistenter. Die geschaffenen finanziellen Polster und profitablen Strukturen der vergangenen Jahre dienen, falls notwendig, als Mittel der Überbrückung in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten.
Abschließend lässt sich sagen, dass sowohl der Wachstumspfad über Risikokapital als auch der über Bootstrapping ihre ganz eigenen Vor- und Nachteile haben. Oft liegt es ganz an der Präferenz und der Vision des Unternehmers bzw. der Unternehmerin, welcher Weg der richtige ist. Andere Geschäftsmodelle wiederum erfordern enormes initiales Investment. Wir bei FLEX sehen und hören jedes Jahr zahlreiche herausragende Gründungsgeschichten, in welchen exzellente Unternehmer und Unternehmerinnen ohne jegliche Fremdfinanzierung beeindruckende Unternehmen aufgebaut haben und hoffen, dass sich auch in Zukunft viele Gründer und Gründerinnen für diesen Weg entscheiden.