Simon, gib uns zum Einstieg einen Überblick über deine bisherige Tätigkeit im Vertrieb. Mit welchen Kunden hast du gearbeitet?
Simon: Ich habe die letzten Jahre verschiedene Firmen mit aufgebaut wie Fab.com oder Vade, teilweise als Mitgründer, teilweise als vertrieblicher Leiter. Der größte Erfolg bisher war sicherlich Doctolib. Ich war von Anfang an in Deutschland dabei und habe den deutschen Markt mit hochgezogen. Von 0 auf knapp 100 Mitarbeiter. Ende 2018 bin ich dann operativ ausgeschieden. Das Interessante an Doctolib aus unternehmerischer Sicht ist, dass es als SaaS-Unternehmen eine hohe Komplexität mitbringt, zum Beispiel im Onboarding der Ärzte.
Simon: Die anderen haben nicht viel falsch gemacht. Wir haben einfach etwas härter gearbeitet. Zum Beispiel haben wir den Arztpraxen ein enormes Maß an Service geboten, das gerade Software-Unternehmen so klassischerweise nicht bieten wollen. Wenn Praxen zum Beispiel Probleme mit ihrem Druckertreiber hatten, haben wir ihnen geholfen, und zwar vor Ort. Das konnten wir in der Art nur machen, weil wir sehr stark aus Frankreich finanziert waren. Davon abgesehen haben wir eine Vertriebsorganisation aufgebaut mit einer starken Teamkultur und einer sportlichen Gewinnerkultur. Aus diesem starken Zusammenhalt und Ehrgeiz heraus haben wir Stadt für Stadt an Doctolib angeschlossen. Das Timing spielt natürlich auch immer eine Rolle, aber letztlich, glaube ich, haben wir einfach den besseren Service geboten.
Das Timing spielt natürlich auch immer eine Rolle, aber letztlich, glaube ich, haben wir einfach den besseren Service geboten.
Christoph: Vertrieb ist unglaublich schwer und wird von den meisten Investoren unterschätzt. Viele Businesspläne, die wir sehen, stellen es so einfach dar: Man will jetzt nur noch nach Schweden oder nach England gehen. Wir sind dann erst mal skeptisch. Es müssen viele Boxen abgehakt werden, bis wir diese Pläne unterstützen. Eine der wichtigsten Voraussetzung ist, dass die Firmen einen Top-Vertriebsgeschäftsführer haben, der für das Thema brennt und dann eine schlagkräftige Vertriebsorganisation aufbaut.
Simon: Was uns am Anfang nicht bewusst war: Es gibt keine fertigen Vertriebsmitarbeiter auf dem Markt, die du so einstellen kannst. Gerade bei SaaS-Unternehmen in einem Bereich, der noch relativ jung ist, hat man fast keine Möglichkeiten, auf erfahrene Leute zurückzugreifen.
Dann steht man vor der Frage: Stellt man Berufseinsteiger ein oder setzt man auf erfahrene Vertriebler aus anderen Branchen? Die Jungen sind sehr motiviert und arbeiten hart, aber man muss ihnen viel beibringen. Es dauert 6 bis 12 Monate, bis sie sich tragen. Die Erfahreneren wollen viel Geld und bringen oft keine gute Leistung. Das ist ein grundsätzliches Vertriebsproblem: 99 Prozent der Vertriebler machen eigentlich Account Management und nur die wenigsten sind in der Lage, wirklich Kaltakquise zu machen. Wir mussten deswegen viel investieren, um junge Leute auszubilden und konnten nicht so schnell skalieren, wie ursprünglich geplant.
Es gibt keine fertigen Vertriebsmitarbeiter auf dem Markt, die du so einstellen kannst. Gerade bei SaaS-Unternehmen in einem Bereich, der noch relativ jung ist, hat man fast keine Möglichkeiten, auf erfahrene Leute zurückzugreifen.
Ich habe im Vertrieb zwei Herangehensweisen beobachtet: Einige Unternehmen teilen organisatorisch in Hunting und Farming, der Kunde hat mit mehreren Vertriebsmitarbeitern Kontakt, und andere verfolgen den gegenteiligen Ansatz mit „One Face to the customer“. Wie habt ihr es gemacht?
Simon: Wir haben unterteilt in Hunting, Closing, Training und Farming, aber jeder Vertriebler oder jede Vertrieblerin verantwortet in seinem oder ihrem Gebiet als Unternehmer oder Unternehmerin alle Schritte. Das heißt, die Person, die den Termin beim Arzt ausgemacht hat, überzeugt den Arzt, onboarded die Praxis und hakt nach sechs Monaten noch einmal nach, ob die Praxis läuft.
Das ist komplex und anspruchsvoll und es gibt nur sehr wenige Vertriebler, die die unterschiedlichen Fähigkeiten mitbringen, die dafür nötig sind. Aber ich glaube, dieser Ansatz war für unseren Erfolg entscheidend. Denn so entsteht exzellenter Service. Bei vielen anderen Playern habe ich beobachtet, dass Dienst nach Vorschrift gemacht wurde. Dann ist es viel schwieriger Ärzte zu überzeugen, dir zuzuhören.
Das Onboarding ist wegen der hohen Komplexität bei uns zwar in einem Account Management untergebracht, aber der Vertriebler gibt nicht komplett ab, sondern haftet sechs Monate dafür, ob der Arzt noch dabei ist. Damit wirken wir einer Hit-and-Run-Mentalität entgegen, die sonst oft im Vertrieb herrscht und die im SaaS nicht funktioniert. Bei SaaS testet dich der Kunde und du hast nichts gewonnen, sondern nur enormen Aufwand gehabt, wenn er nach zwei Wochen unzufrieden wieder geht.
Wir haben unterteilt in Hunting, Closing, Training und Farming, aber jeder Vertriebler oder jede Vertrieblerin verantwortet in seinem oder ihrem Gebiet als Unternehmer oder Unternehmerin alle Schritte.
Simon: Zu meiner operativen Zeit teilte es sich eher in ein Drittel, das gegangen ist, und zwei Drittel, die geblieben sind. Durch unsere starke Teamkultur und ein starkes Wachstum konnten wir verhindern, dass das letzte Drittel geht. Aber das Hauptproblem ist, Menschen zu finden, die die grundsätzliche Leidenschaft für Vertrieb haben. Denn was wir machen, ist harte Arbeit. Wir haben zu Beginn door to door gearbeitet. Bei Schnee und Regen. Wenn du keinen Bock darauf hast, dann brennst du nach ein sechs bis acht Monaten aus. Der zweite wichtige Faktor ist das Selbstbewusstsein. Das muss stimmen. Leider erkennt man oft erst nach einem halben Jahr, ob ein Mitarbeiter beides mitbringt.
Simon: Es gibt nichts Stärkeres als eine Wachstumsstory mit der entsprechenden Traction. Gerade im Startup-Bereich und bei kleineren Firmen sind Führungskräfte Eigenkapital getrieben. Es war für mich immer sehr wichtig, nicht nur in Ownership in der Sache, sondern auch tatsächlich zu haben oder zumindest haben zu können. Wenn ich Jahre meines Lebens investiere und mit Herzblut regelmäßig 100 Stunden in der Woche arbeite, dann will ich auch, dass das Unternehmen mehr wird als eine durchschnittlich erfolgreiche Firma. Mein Eindruck ist, dass es vielen guten Vertriebsmitarbeitern so geht.
Am Ende will man erfolgreich sein. Das ist wie im Sport. Letzten Endes will ich die Champions League erreichen und gewinnen. Ich muss also Bock auf die Industrie haben und ich muss an das Produkt, an die Firma und an die Führung dieser Firma glauben, zu der ich dann gehöre. Wenn ich bei Borussia Dortmund spiele und ein anderer Verein will mich abwerben, frage ich mich auch: Wird es dort besser? Was können wir gemeinsam erreichen? Beim Scouting wird aus meiner Sicht aktuell noch zu wenig Wert auf die Unternehmensstory gelegt. Was ist die Vision? Wo können wir hin und wie können wir das erreichen? Wenn man das nicht klar kommuniziert, kann man auch das Produkt nicht verkaufen.
Am Ende will man erfolgreich sein. Das ist wie im Sport. Letzten Endes will ich die Champions League erreichen und gewinnen. Wenn ich bei Borussia Dortmund spiele und ein anderer Verein will mich abwerben, frage ich mich auch: Wird es dort besser? Was können wir gemeinsam erreichen?
Christoph: Er muss wie ein weiterer Gesellschafter für die Firma sein. Er sollte eine gute Due Diligence gemacht haben, verstehen, an welcher Vision man arbeitet, smart sein und für das Thema Vertrieb brennen. Letzteres ist die Kernherausforderung. Es ist schwierig, jemanden zu finden, der das Thema Vertrieb leidenschaftlich als unternehmerische Aufgabe sieht. Wenn wir eine solche Person haben, dann trauen wir uns als Partner und Investoren auch, das Wagnis neue Märkte anzugehen.