Meine Geschichte fängt im Oktober 2007 an: studiVZ ist der Star der Start-up-Szene, Brands4Friends zeigt, was mit E-Commerce-Modellen der neuen Generation geht und Rocket Internet wird gerade erst gegründet. Berlin ist zu der Zeit definitiv the place to be, wenn man nur wenig Geld, aber dafür große Ambitionen als junger Gründer frisch von der Uni hat. Der Quadratmeter Bürofläche in Berlin-Mitte kostet zwischen 5 und 8 EUR, gute Entwickler nicht mehr als EUR 3.500 brutto im Monat.
Jan Beckers habe ich auf dem WHU Idealab kennengelernt. Im Workshop von Oliver Samwer schafft es seine Idee, “die klassischen Lebenslauf-Bücher der Universitäten online zu bringen”, nicht in die zweite Runde. Dennoch ruft mich Jan kurze Zeit später an und fragt, ob ich als CEO die Firma mit ihm zusammen gründen möchte. Er hat mit Henning Peters einen starken CTO und mit Lukasz Gadowski und Oliver Jung die Erste Liga der Business Angels hinter sich stehen. Pascal Tilgner ergänzt als CMO das Gründerteam perfekt. Ich bin Feuer und Flamme und schlage ein.
Die Grenze zwischen weiteren Mitgründern und ersten MitarbeiterInnen verschwimmt danach. Gemein ist allen jedoch: Es sind unglaublich talentierte und motivierte Mit-ZwanzigerInnen, die wir für die Vision von ABSOLVENTA gewinnen können. Sascha Kubak, heute Geschäftsführer des Trendence Instituts, übernimmt mit Ann-Carolin Helmreich, heute gefragte Performance Coach und Sozialunternehmerin, den Vertrieb. Tim Keding, später Gründer von unter anderem Shoepassion.com und Monteurzimmer.de, übernimmt das Marketing. Henning Peters gründet nach Absolventa zusammen mit Holtzbrinck und Bertelsmann das “spotify für e-books” skoobe, und verkauft eine weitere Gründung, RiseML, an Nvidia. Pascal Tilgner ist mittlerweile sehr erfolgreich als Privatinvestor unterwegs, nachdem er die von ihm gegründete Deutsche Auftragsagentur (DAA) an Bosch Thermotechnik verkauft hat. Absolventa-Initiator Jan Beckers ist Gründer unter anderem von IONIQ (finleap und heartbeat labs), wurde von EY zum Unternehmer des Jahres gekürt und ist mit BIT Capital einer der weltweit erfolgreichsten Investoren in Technologie-Aktien.
Mit der Zeit kommen weitere Top-ManagerInnen wie Daniel Schoppmann, aktueller Absolventa CTO, Victoria Tschirch, heute Geschäftsführerin der FUNKE Tochter Passion 4 Gästezimmer, Ben Fischer, aktueller Absolventa CMO, Adrian Hensen, heute Gründer von On Purpose, oder Lorenz Hartmann, Gründer & CEO von Pickmotion, mit dazu.
Bald stellt sich heraus, dass die Grundidee hinter Absolventa schon vielfach getestet wurde und immer gescheitert ist. Mit dem Pivot hin zu einer Jobbörse klassischer Bauart schaffen wir es mit viel Fleiß und Herzblut den Deutschen Marktführer für den Bereich Einstiegsjobs aufzubauen. Ein gut wachsender und schön profitabler deutscher Internet-Mittelständler. Anfang 2015 verkaufen wir an die FUNKE Mediengruppe.
Die Zusammenarbeit innerhalb des Management-Teams war für mich etwas ganz Besonderes. Ich hatte das Privileg, mit Persönlichkeiten zusammenzuarbeiten, die mit Blick auf ihre Fähigkeiten allesamt selber Unternehmen gründen und CEOs sein konnten, sich damals aber dazu entschieden haben, einen Teil ihrer Karriere mit mir zusammen bei Absolventa zu verbringen.
Funktioniert hat das aus meiner Sicht nur, weil wir einige Prinzipien für die Zusammenarbeit mit Top-Talenten berücksichtigt haben.
#1 Nicht den Chef raushängen lassen
Eigentlich versteht es sich von selbst in der heutigen Zeit: Top-ManagerInnen, welche freie Wahl haben zu entscheiden, wo sie ihre Magie entfalten wollen, lassen sich nicht in eine hierarchische Organisation mit wenig Freiraum pressen. Der Satz “Ich habe hier das Sagen, darum machen wir es so, wie ich es für richtig halte”, ist bei uns in all den Jahren nicht einmal gefallen. Musste er auch nicht: Wir haben eine gemeinsame Vision entwickelt, diese dann operationalisiert und den verschiedenen Verantwortungsbereichen zugeordnet. In ihren Verantwortungsbereichen waren die ManagerInnen frei. Die unausgesprochene Vereinbarung war immer: Ich vertraue dir, du bist der Fachmann/die Fachfrau, mach es, wie du es für richtig hältst. Ich mische mich nur ein, wenn unsere gemeinsamen Ziele aufgrund ausbleibender Ergebnisse in Gefahr sind. Ja, bei einigen Themen, die man glaubt, wirklich besser zu wissen, fällt es manchmal schwer, einen ganz anderen Ansatz zu akzeptieren. Am Ende bin ich aber überzeugt davon, dass Top-ManagerInnen nur so ihr volles Potenzial entfalten und einem Unternehmen langfristig treu bleiben: Freiheiten geben und Verantwortung für die Ergebnisse einfordern.
#2 Don’t ask for permission, beg for forgiveness
Gerade ein junges Team, dass sich schnell bewegt, macht Unmengen von Fehlern. Das ist ok, solange die Fehler nach Möglichkeit nur einmal passieren und vor allem nicht tödlich für das Unternehmen sind oder nachhaltigen Schaden in der Organisation anrichten. Wie erkennt man als CEO rechtzeitig, ob eine bestimmte Initiative des Managements ein potenziell tödlicher Fehler ist? Wer ist verantwortlich, derlei Fehler frühzeitig zu erkennen? Meine Antwort: der/die CEO und nicht der/die ManagerIn. Der CEO muss eng genug am Geschehen sein und sich proaktiv mit den ManagerInnen austauschen, um im gemeinsamen Dialog Gefahren zu erkennen. Die Verantwortung für Fehlervermeidung allein dem Management zuzuschieben ist fatal. Sobald sich ManagerInnen aus Angst vor Fehlern für jede Kleinigkeit beim CEO absichern, wird die ganze Organisation langsam und schwerfällig. Unser Marketing Chef Tim Keding hat daher immer wieder daran erinnert: don’t ask for permission, beg for forgiveness.
#3 Sharing is caring
Jeder Top-Manager/ jede Top-Managerin war von Anfang an am Unternehmen beteiligt. Anfangs standen nur wenige Anteile für das Beteiligungsprogramm zur Verfügung. Das war insofern unproblematisch, als dass wir alle sicher waren, in den nächsten 18-24 Monaten auf einen Exit nördlich der EUR 100 Mio. zuzusteuern. Ein halbes Prozent am Unternehmen fühlte sich daher sehr angemessen an.
Mit der Zeit wurde mir klar, dass ein Exit irgendwo zwischen EUR 10 und EUR 20 Mio. realistischer sein wird und wir dafür auch eher 5-7 Jahre brauchen werden. Diese Erkenntnis habe ich transparent mit allen Top-ManagerInnen geteilt. Allen war sofort klar, dass ein halbes Prozent in diesem Szenario kein besonders prickelnder Anreiz mehr ist. Die nicht operativen Gesellschafter waren uns in diesem Zusammenhang eine große Hilfe: In erheblichem Umfang haben sie Anteile zur Verfügung gestellt, die ich leistungsgerecht im Top-Management verteilt habe.
Auch nach dem Exit an die FUNKE Mediengruppe sind wir mit den Earn-out Zahlungen ähnlich umgegangen. Nur auf diese Art wurde ein Exit, der kleiner als bei der Gründung erhofft ausfiel, zum großen finanziellen Erfolg für alle Manager, die ihn möglich gemacht haben.
Mein Fazit: Top-Talente erwarten absolute Transparenz und eine leistungsgerechte Beteiligung am Gesamterfolg. Optimiert der/ die CEO nur für sich und nicht für das ganze Team, bricht das Team schnell auseinander.
#4 Eine Ehe auf Zeit
Es liegt in der Natur der Sache, dass Top-ManagerInnen zu jeder Zeit mehrere Karriere-Optionen zur Verfügung haben. An Anfragen bezüglich anderer Managementpositionen fehlt es nicht und die Option, ein eigenes Projekt oder Unternehmen zu starten, ist ein stetiger Begleiter.
Mir war klar, dass wir nicht jedem Talent eine Perspektive für viele Jahre geben können. Gleichzeitig war jeder Einzelne zentral für den Erfolg der Firma und ein unerwarteter Abgang wäre sehr problematisch gewesen.
Zwei Instrumente haben sich bewährt, um dieser Herausforderung zu begegnen: Zum Start des jährlichen Management-Offsites hat jeder/ jede zuerst ausführlich über seine/ ihre Befindlichkeiten und seine/ ihre Perspektive bei Absolventa gesprochen. Am Ende stand das volle Commitment des Managements für das vor uns liegende Jahr. Natürlich kamen die jeweiligen Commitments beim Meeting selbst nicht überraschend. Es war unausgesprochenes Gesetz, dass Abwanderungsgedanken in dem Moment ausgesprochen werden, in dem sie entstehen. Das hat in all den Jahren ohne Ausnahme so funktioniert. Sicher hat das auch damit zu tun, dass wir es uns gegenseitig nicht krummgenommen haben, wenn jemand aus dem Team einer anderen Passion nachgehen wollte.
Der zweite Grundsatz war, dass jeder seinen eigenen Nachfolger/ seine eigene Nachfolgerin entwickeln musste. Erst wenn ein fähiger Nachfolger/ eine fähige Nachfolgerin bereitstand, “durfte” das Management gehen.
Diese beiden einfachen Grundsätze haben uns über die Jahre unglaublich viel Stabilität und Kontinuität gegeben.
#5 Nebenprojekte
Das wohl kontroverseste Thema war sicherlich der Umgang mit kommerziellen Nebenprojekten unserer Top-Performer. In vielen erfolgreichen Unternehmen herrscht der Grundsatz: hundertprozentiger Fokus auf den Job, kommerzielle Nebenprojekte sind verboten.
Bei Absolventa haben wir das anders gehandhabt: Nebenprojekte unserer Top-Leute waren nach vorheriger Absprache erlaubt. Wäre Absolventa noch schneller noch größer geworden, wenn wir Nebenprojekte verboten hätten? Ich glaube das nicht, und das aus folgendem Grund: Nebenprojekte, wenn sie außerhalb der Arbeitszeit verfolgt werden, zahlen massiv auf das Know-how der ManagerInnen ein. Dieses Know-how kommt schlussendlich auch dem Arbeitgeber zugute. Dieser Effekt überwiegt aus meiner Erfahrung die mentale Ablenkung, die ein Nebenprojekt natürlich auch mit sich bringt.
Wichtig ist zu erwähnen, dass das Thema Nebenprojekte vor allem in der Anfangszeit von Absolventa eine Rolle gespielt hat. Unsere ManagerInnen waren Mitte zwanzig, hatten keine Familie und haben nahezu rund um die Uhr gearbeitet. Von 9 bis 19 Uhr bei Absolventa, abends und am Wochenende für ihre Nebenprojekte. Bei Müttern oder Vätern von kleinen Kindern, die neben der Familie ohnehin nur 40 Stunden für die Arbeit Zeit haben, fällt meine Beurteilung von Nebenprojekten im Hinblick auf den Nutzen für den Arbeitgeber weniger positiv aus.
Fazit
Diese 5 Prinzipien haben wesentlich zum Erfolg von Absolventa beigetragen. Darüber hinaus sind aus dem Absolventa-Ökosystem Unternehmen entstanden, die heute Hunderte von MitarbeiterInnen beschäftigen. Zu nennen sind unter anderem: Shoepassion.com, Passion 4 Gästezimmer (monteurzimmer.de & pension.de), Deutsche Auftragsagentur (DAA), Clevis Research, Founders Kite Club und Sellics.
Sich an diese Prinzipien zu halten war nicht immer einfach. Das eigene Ego zieht von Zeit zu Zeit in eine andere Richtung. Die Erfahrung, die ich jedoch diesbezüglich als CEO teilen möchte, ist: Das Einhalten dieser Prinzipien macht die eigene Arbeit so viel produktiver und erfüllender.