Bootstrapping: „Mögliche Nachteile zeigen sich erst jetzt.“

Experten Interview
Inhalt
Michael Bogner
Gründer von Perspective.co
Michael Bogner ist Unternehmer und Investor. Er hat Perspective zunächst als Marketing-Agentur aufgebaut. 2018 pivotete er sie zum SaaS-Unternehmen. Jetzt erstellen Unternehmen mithilfe der Plattform in knapp zehn Minuten auf ihr Conversionsziel optimierte Landingpages und Sales Funnels.
Peter Waleczek
Managing Partner von FLEX Capital
Peter Waleczek ist Unternehmer und Experte für Strategieentwicklung und Financial Management bei FLEX Capital. Er war viele Jahre Unternehmensberater bei McKinsey, baute das Beratungsunternehmen Clevis und den Onlineshop Herrenschmiede auf, eher er mit seinen Partnern FLEX Capital gründete.

Michael, du hast dein Unternehmen bewusst gebootstrapped. Warum hast du diesen Weg gewählt?

Michael: Es war nur teilweise eine bewusste Entscheidung. Wir waren vorher eine Agentur und unser großes Ziel war es immer, viel Erfahrung zu sammeln und den Gewinn in der Firma zu behalten, um früher oder später unsere neue Company zu starten und selbst zu finanzieren. Wir hatten einen starken Cashflow. Deswegen war die Entscheidung für Bootstrapping leicht und meine Intuition hat auch sehr klar gesagt: Wir machen lieber mit unserem eigenen Geld Fehler und testen am Markt, als andere Menschen um Geld zu bitten.

Wir machen lieber mit unserem eigenen Geld Fehler und testen am Markt, als andere Menschen um Geld zu bitten.

Welche Vorteile hat Bootstrapping neben der Freiheit, die du angesprochen hast, aus deiner Sicht noch?

Michael: Freiheit ist ein wichtiger Aspekt. Für uns hatte der Weg auch den großen Vorteil, dass wir uns von Beginn an auf das Kundengeschäft konzentrieren konnten. Die Investorensuche nimmt unheimlich viel Zeit in Anspruch. Diese Zeit konnten wir uns sparen und uns voll auf unsere Produktverbesserung fokussieren. Wir mussten uns auch nie einen Approval von Investoren einholen und – ein dritter Vorteil von Bootstrapping – wir mussten von Stunde eins sehr wirtschaftlich arbeiten. Ich glaube, diese kaufmännische Sicht hat uns gutgetan. Heute machen wir jeden Monat gute Gewinne.

Die Investorensuche nimmt unheimlich viel Zeit in Anspruch. Diese Zeit konnten wir uns sparen und uns voll auf unsere Produktverbesserung fokussieren.

Wir schätzen Bootstrapping-Unternehmer sehr, weil sie voll fokussiert arbeiten und sehr bewusst mit Geld umgehen. Hast du Situationen erlebt, in denen euch das Finanzierungsmodell Nachteile gebracht hat?

Michael: Tatsächlich zeigen sich die Nachteile gerade. Wir haben jetzt nicht mehr nur ein cooles Produkt, sondern sind eine Firma mit über 1300 zahlenden Kunden. Jetzt wäre es gut, einen Partner an Bord zu haben, der wirtschaftlich beteiligt ist und die Executive-Erfahrung mitbringt, die uns im Team fehlt. Mit einem Investor hätten wir auch von Anfang an mehr Fokus auf das Recruiting legen können, aber rückblickend bin ich immer sehr kritisch. Hätte ich vor drei Jahren das Kapital gehabt und Senior-Mitarbeiter geholt, wäre ich wahrscheinlich gar nicht in der Lage gewesen, sie zu führen. Deswegen ist es gut, dass wir den Weg so gegangen sind. Jetzt ist es umso wichtiger, dass wir Geld bekommen, um ein Senior Management aufzubauen und Perspective groß zu machen. Aber am Anfang habe ich keine Nachteile gesehen.

Peter: Das ist spannend. Ich habe genau die gleiche Erfahrung gemacht. Ich habe meine erste VC-finanzierte Firma mit Anfang 20 gegründet. In den ersten ein, zwei Finanzierungsrunden kam es zu dem Phänomen, das du beschreibst: Wir haben das Geld aus damaliger Sicht gut investiert, Senior-Mitarbeiter eingestellt, aber wir waren nicht bereit dafür und es kam zu diesen Wachstumsschmerzen. Wie führt man eigentlich ein Team? Als wir über 20 Mitarbeiter gewachsen sind, wurde das zur echten Herausforderung.

Hätte ich vor drei Jahren das Kapital gehabt und Senior-Mitarbeiter geholt, wäre ich wahrscheinlich gar nicht in der Lage gewesen, sie zu führen. Deswegen ist es gut, dass wir den Weg so gegangen sind.

Du hast angesprochen, dass ihr von Beginn an auf Kundennutzen fokussiert habt. Wahrscheinlich habt ihr keine ganze Suite programmiert, sondern ein MVP oder einen Prototyp. Glaubst du, dass du mit mehr Geld und Zeit ein noch besseres Produkt gebaut hättest?

Michael: Mit unserer damaligen Erfahrung hätten wir es nicht besser machen können. Mehr Geld hätte uns nicht geholfen. Wir hatten ja auch Cashflow. Unsere Herausforderung war eher: Wie schaffen wir es, ein Dienstleistungsgeschäft mit über 20 Mitarbeitern in ein skalierbares Software-Geschäft zu transformieren? Ein kleines Team ist am Anfang besser. Man hat keine komplexen Kommunikationswege und kann schnell iterieren und verstehen, was funktioniert und was nicht funktioniert. Jetzt wäre für uns genau der richtige Moment für Investoren. Jetzt brauchen wir ein größeres Team, weil wissen, was wie funktioniert.

Aktuell bootstrapped ihr weiter, achtet auf eure Profitabilität und wollt wachsen. Glaubst du, dass der Ansatz euch im Wachstum bremst oder könntet ihr ein schnelleres Wachstum aus deiner Sicht gar nicht verkraften?

Michael: Wir sind gerade erst in eine neue Unternehmensphase gekommen. Zuerst ging es darum, ein MVP zu bauen und Kunden zu gewinnen. In der zweiten Phase ging es darum, Break-even zu werden. Wir sind erst im letzten Jahr so rasant gewachsen, dass wir den Meilenstein erreicht haben. Jetzt sind wir in der dritten Phase: Wir machen jeden Monat gute Gewinne und überlegen uns aktuell, wie wir das Unternehmen weiter professionalisieren. Ich würde gerne für immer eine Bootstrapping Company bleiben, aber wir bleiben erst mal offen, was die Finanzierung betrifft. Gerade wollen wir mit eigenem Geld weitermachen.

Wir schaffen es zurzeit nicht einmal, das Geld auszugeben, das wir gerade an Gewinn erwirtschaften. Fremdkapital würde uns also gar nichts bringen. Uns ist erst mal wichtig, jetzt die richtigen Mitarbeiter einzustellen. Was passiert, wenn wir unseren eigenen Gewinn eingesetzt haben, werden wir sehen.

Wenn du an andere Gründer und Unternehmer denkst, die vor der Entscheidung stehen, ob sie bootstrappen wollen. Was würdest du ihnen empfehlen? Worauf sollten sie achten, wenn sie den Weg einschlagen?

Michael: Ich bin ein riesengroßer Bootstrap-Fan, weil es bei uns so gut geklappt hat, aber es ist eine individuelle Entscheidung. Es gibt Geschäftsmodelle, die sehr kapitalintensiv sind. In den Fällen ist es wahrscheinlich gar nicht möglich, die Unternehmen komplett über Bootstrapping hochzuziehen. Grundsätzlich wird der Bootstrapping-Ansatz aus meiner Sicht aber unterschätzt. Wenn es möglich ist, würde ich ihn deshalb empfehlen. Vor allem in der Early Stage.

Ich bin ein riesengroßer Bootstrap-Fan, weil es bei uns so gut geklappt hat, aber es ist eine individuelle Entscheidung.

Du würdest den Weg also wieder so einschlagen?

Michael: Auf jeden Fall. Würden wir das gleiche Venture heute aufziehen, wären wir wahrscheinlich sehr viel schneller, aber das hat weniger mit der Finanzierungsform als mit unserer Erfahrung zu tun.

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*FLEX Capital ist ein Private-Equity-Buyout-Investor mit Spezialisierung auf den Softwaresektor. Wir verfügen über maßgebliche Expertise bei der Unternehmensbewertung in diesem Segment.